„Mir gefällt an eurem Buch, dass ihr vielen Opfern des NS-Terrors ihre Gesichter, Namen und Lebensgeschichten zurückgegeben habt.“ Mit diesen Worten zollte eine engagierte Teilnehmerin, die als eine von hunderten zu den Präsentationen des Buches „Die Eisenstraße 1938-1945. NS-Terror – Widerstand – Neues Erinnern“ gekommen war, den drei Herausgebern, Werner Anzenberger, Christian Ehetreiber und Heimo Halbrainer, Anerkennung. Solche Zustimmung zur Aufarbeitung der NS-Geschichte gab es nicht immer, bei ähnlichen Veranstaltungen noch vor 15 Jahre wurden österreichische Freiheitskämpfer, die sich gegen die Unmenschlichkeit des NS-Regimes auflehnten, als „Banditen“, die Fronturlauber in die Luft gejagt hätten, oder „Hunde mit Flöhen“, deren Kontakt man meiden müsse, beschimpft. Christian Ehetreiber dazu: „Spätestens mit der Errichtung eines Mahnmals für die Opfer des Nationalsozialismus, die Eisenerzer Schülerinnen und Schüler initiiert hatten, setzte in weiten Teilen der Bevölkerung endlich ein Umdenken ein.“
Das Buch zeigt sehr gut, wie eine Region – die Steirische Eisenstraße – in nahezu allen Aspekten exemplarisch für die Lebensbedingungen im nationalsozialistischen Unrechtsstaat stand. Es enthält historische Darstellungen ebenso wie Beiträge zur Aufarbeitung und Erinnerung nach 1945, aber auch sozialpsychologische Überlegungen zur Frage nach den Handlungsspielräumen, die den Menschen an der Eisenstraße während der totalitären Diktatur tatsächlich zukamen. Heimo Halbrainer hat darüber hinaus in einem eigenen Büchlein im Schuber die Personalien der Opfer zusammengetragen.
Besonders bemerkenswert ist, dass in den Bergen um die Eisenstraße – vor allem also im Hochschwabmassiv und den Eisenerzer Alpen – versucht wurde, gegen das Naziregime militärischen Widerstand zu leisten. Dabei war die Partisanengruppe Leoben-Donawitz um Sepp Filz, Max Muchitsch, Anton Wagner, Ferdinand Andrejowitsch, Silvester Heider und Johann Krenn nahezu völlig von anderen Widerstandsgruppen wie den Koralmpartisanen im Süden der Steiermark und in Kärnten abgeschnitten. Besondere Bedeutung kam der Bodenorganisation zu, in der Frauen wie Mathilde Auferbauer, Christine Berger oder Rosa Kahlig unverzichtbare Unterstützung leisteten. Der Bewegung gehörten Bauern und Landarbeiter, Gastwirte und Sennerinnen, Arbeiter und Angestellte, Unternehmer und sogar eine Adelige an. Viele von Ihnen sollten im Gefecht mit nationalsozialistischen Formationen fallen, für Ihre Widerstandstätigkeit hingerichtet oder ins Konzentrationslager verschleppt werden. Das Programm der Gruppe – die sich ja als Teil der österreichischen Freiheitsfront verstand – war österreichpatriotisch und zielte auf die Wiedererrichtung eines selbstständigen demokratischen Staates.
Die Partisanen sahen es als ihre Aufgabe, der Infrastruktur der nationalsozialistischen Besatzung – etwa durch Gleissprengungen – Schaden zuzufügen, die Kriegswirtschaft zu stören, Nachschubwege zu unterbrechen und nationalsozialistische Kräfte in Österreich zu binden.
Nach Überwindung des Terrorregimes war Dank an die Freiheitskämpfer kein Thema, ja, im Gegenteil wurde alles daran gesetzt, sie zu benachteiligen und als „Vaterlandsverräter“ zu denunzieren. Ein gutes Beispiel: Bei einem Kampf beim Eisenerzer Bunker der Partisanen hatte der NS-Gefolgsmann Felix Roithner dem sich ergebenden und bereits entwaffneten Freiheitskämpfer Heinrich Konhauser, einem jungen Keuschler aus Tragöß, aus vier Schritt Entfernung in die Brust geschossen und ihn tödlich verletzt.
1950 wird Roithner, wie der Historiker Werner Anzenberger in seinem Beitrag ausführt, zwar verhaftet, die Staatsanwaltschaft Leoben findet aber trotz drückender, ja eindeutiger Beweislage keinen Grund, die Strafsache gegen den mutmaßlichen Mörder weiter zu verfolgen. Und der Höhepunkt der Verhöhnung und des Zynismus: Der Antrag der Angehörigen von Heinrich Konhauser auf Opferrente wird auf Grundlage der Zeugenaussage justament jenes Jägers und fanatischen Nazis, der die Partisanen verraten hatte, abgelehnt. Begründung: Heinrich Konhauser sei kein Freiheitskämpfer, sondern „bloß“ ein Deserteur gewesen.
Das Buch behandelt aber auch einen Abschnitt der Geschichte, den die Historiker Götz Aly und Christian Gerlach treffend als „Die letzten Kapitel des Holocaust“ bezeichnet haben. Zwischen Präbichl und Eisenerz verübte der örtliche Volkssturm an den zerlumpten, erschöpften und halb verhungerten Jüdinnen und Juden des Todesmarsches nach Mauthausen und Gunskirchen ein Massaker. Die Opferzahl konnte bis heute nicht exakt eruiert werden, ein Überlebender, der mit anderen zur Beseitigung der Leichen gezwungen worden war, zählte 220 bis 250 Tote, dazu kamen vermutlich 80 bis 100 Menschen, die in den darauffolgenden, enorm kalten Frühlingsnächten rund um Eisenerz erfroren oder verhungerten. Den Opfern und Überlebenden, die auch in der Nachkriegszeit als „gesichtslose, gehetzte Masse das öffentliche Erinnerungsbild prägten“, gibt Eleonore Lappin-Eppel ihre Individualität und damit ihr Gesicht zurück, indem sie das Schicksal von vier Davongekommenen erzählt: Von Juditha Hruza, der Tochter aus gutem Budapester Hause, von Zwi Bar Niv oder Herschel Birnbaum, einem Musiklehrer aus der heutigen Ukraine, von Wolf Gancz, ungarischer Arbeitsdienstsoldat, und schließlich vom jüngsten der vier, von Imre Weisz, dem Gymnasiasten aus einer ostungarischen Kleinstadt.
Bemerkenswert auch die Schlusssätze der Autorin, die eindrucksvoll zeigen, wogegen der Widerstand – und damit auch die Partisanen der Region – gekämpft haben: „Durch die entsetzlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen am Südostwall und während der Todesmärsche begannen die Jüdinnen und Juden äußerlich dem Zerrbild der NS-Propaganda zu ähneln. Sie wurden als lebende Skelette wahrgenommen, die ‚wie Tiere die Wiesen kahl fraßen’“. Mit anderen Worten: Die Entmenschlichung der Opfer erregte kein Mitleid, sondern förderte unmittelbar die entmenschlichten Taten der Mörder.
Zwei Bände im Schuber:
Werner Anzenberger/Christian Ehetreiber/Heimo Halbrainer (Hg.), Die Eisenstraße. NS-Terror – Widerstand – Neues Erinnern, Graz Clio 2013.
Heimo Halbrainer, Archiv der Namen. Ein papierenes Denkmal der NS-Opfer aus dem Bezirk Leoben, Graz Clio 2013.
ISBN: 978-3-9025442-33-5.
Zwei Bände in einem Schuber um 29,90 Euro.